Mehr als 300 Spiele in deutschen Regionalligen, etwa 80 Partien in der zweiten und dritten Liga sowie zwei Einsätze im deutschen Oberhaus: Der 34-jährige Michael Lejan kann auf eine ereignisreiche Fußballkarriere zurückblicken, die im Sommer 2017 mit dem Gewinn der Meisterschaft in der Regionalliga West einen positiven Abschluss nahm. Seitdem widmet sich der Belgier der von langer Hand geplanten Karriere nach der Karriere – bei der es weiterhin um Fußball geht.

1.  Dezember, 17:30 Uhr: Hier trainiert die U12 des 1. FC Köln.

Am ersten Dezembertag ist es voll auf dem Trainingsgelände des 1. FC Köln. Bei eisiger Kälte und früh einsetzender Dunkelheit betreten etwa 20 junge Kicker den Kunstrasenplatz an der Franz-Kremer-Allee. Gut sichtbar prangt der Schriftzug „U12“ auf einem der Mannschaftsbälle, mit denen die einheitlich gekleideten Jugendspieler gegen die Kälte anzurennen versuchen. In einer derart komfortablen Situation sind viele Eltern der elf- bis zwölfjährigen Kinder hingegen nicht. Abseits des Platzes frieren die Erziehungsberechtigten vor einem kleinen Vereinskiosk, der heiße Bockwürste und frischen Kaffee anbietet, um die gefühlte Kälte auf ein Minimum zu reduzieren.

Wenige Minuten nach Trainingsbeginn der U12 betritt ein  mittelgroßer Mann in dunklem Outfit das Klubgelände am Geißbockheim. Seine lange Winterjacke und die graue Mütze sind ein weiteres Indiz dafür, dass der Winter in Westdeutschland Einzug gefunden hat. Bei dem stets lächelnden Herrn handelt sich um Michael Lejan, einem seit Kurzem selbstständigen Geschäftsmann, der einst selbst elf Jahre lang für den FC am Ball war. 1994 begann seine fußballerische Karriere bei den Kölnern; in ebenjener U12 des Deutschen Meisters von 1964.

Rückkehr zu alter Wirkungsstätte

Früher stand er selbst auf dem Feld, heute ist Michael Lejan (5. Reihe, mittig) hauptberuflich abseits des Platzes unterwegs.

Der Grund für den erneuten Besuch bei seinem ehemaligen Arbeitgeber ist an diesem Tag aber ein anderer als das Training der U12. In gut einer halben Stunde kommt es wenige Meter neben dem Kunstrasenplatz zum U19-Derby zwischen dem FC und Borussia Mönchengladbach; im altehrwürdigen Franz-Kremer-Stadion. Lejan sucht sich einen freien Platz auf der mit roten Sitzen befüllten Haupttribüne, um einen guten Blick auf das Spielfeld zu haben – wieder mal. Wieder mal deshalb, weil der 34-Jährige seit seinem Karriereende im Sommer regelmäßig zu seinem FC zurückkehrt.

Auf seine lange Kölner Vergangenheit blickt der Belgier gerne zurück, das Franz-Kremer-Stadion steht stellvertretend für viele schöne Jahre. „Hier hat alles angefangen. Ich verbinde mit dem Klub gute Erinnerungen, es war eine schöne Zeit“, betont Lejan mit sichtlich heiterer Stimme. Einst habe er in diesem Stadion gegen Philipp Lahm gespielt; dem 1,70 m kleinen Bayer, dem ehemaligen Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, dem Weltmeister von 2014. Das B-Junioren-Viertelfinalspiel im Kampf um die Deutsche Meisterschaft ging zu jener Zeit im Elfmeterschießen zwar verloren, für Lejan sei dieses Spiel dennoch eines der schönsten Erlebnisse einer sehr ereignisreichen Fußballkarriere gewesen.

Der Profifußball hat auch seine Schattenseiten

Elf Jahre 1. FC Köln, vier Jahre Wuppertaler SV, zwei Jahre VfL Osnabrück, ein Jahr Fortuna Köln, zwei Jahre Alemannia Aachen, zwei Jahre Viktoria Köln: Die Karriere des 25-maligen belgischen Jugendnationalspielers liest sich wie ein Buch. Als Lejan von seiner Zeit in Aachen erzählt, befindet sich die U19 des 1. FC Köln in den finalen Vorbereitungen für die Partie gegen Gladbach. Lejan spricht davon, dass das erste Jahr vor der belgischen Grenze nicht einfach gewesen sei. Kaum hat er die Worte ausgesprochen, gibt es einen riesigen Applaus von der Kölner A-Jugend – jedoch nicht für Lejans Aussage, sondern weil sich die Spieler ein letztes Mal vor dem so wichtigen Bundesligaspiel pushen wollen. Üblich unter Fußballern. Das Klatschen wirkt dennoch wie unangebracht: Eine Person erzählt von der wirtschaftlich harten Lage eines ehemaligen Arbeitgebers und erntet dafür reichlich Szenenapplaus. Szenenapplaus von den Menschen, denen sich Lejan als Selbständiger nun hauptberuflich widmen möchte.

Schwierige Situationen wie die in Aachen gab es während seiner langen Karriere so einige: Ein immer wieder aufgebrochener Muskelfaserriss, der ihm womöglich weitere Einsätze in Deutschlands höchster Spielklasse gekostet hat. Der Abstieg mit dem VfL Osnabrück im Jahr 2011; nur ein Jahr nach dem sensationellen Aufstieg in die zweite Bundesliga. Schwer sei es auch gewesen, den Leistungssport und ein Studium unter einen Hut zu bekommen. Frühzeitig einen „Plan B“ parat zu haben, falls es irgendwann mit dem Profifußball doch nicht mehr klappen sollte. Er habe sich damals an der Uni Köln eingeschrieben und schnell feststellen müssen, dass die vielen Trainingseinheiten mit regelmäßigen Vorlesungen nicht kombinierbar sind. Die Karriere nach der Karriere dem Zufall zu überlassen, sei aber nie eine Option für Lejan gewesen.

Vorsorge ist besser als Nachsorge

Das Franz-Kremer-Stadion in Köln: Hier reifen die Profiträume so mancher Jugendspieler.

„Mit Mitte 20 habe ich mir schon viele Gedanken gemacht, wie es nach der Karriere weitergeht“, betont der Ex-Profi, dessen Atem bei Minusgraden deutlich sichtbar ist. 2008 habe er daher erneut angefangen zu studieren: International Business an der Europäischen Fernhochschule in Hamburg. Verlegen erzählt er davon, dass das Studium satte acht Jahre gedauert habe. Doch all der Fleiß und die berufliche Weitsicht sollten sich im Dezember 2016 mit dem Erwerb des Bachelors auszahlen. Lejan hatte diesen „Plan B“, den viele Jugendspieler heute nicht mehr haben. „Ich habe sehr viele junge Spieler erlebt, die sich an dem Traum festklammern, Profi zu werden.“ Bei vielen platzt dieser Traum. „Und plötzlich sind sie Ende 20 und stehen ohne Ausbildung da“, sagt der im Flutlichtschein des Franz-Kremer-Stadions sitzende Akademiker, der dieser Ausbildungslosigkeit nun vorbeugen möchte.

Mit seinem ursprünglichen Vorhaben ist Lejan in Deutschland also „gescheitert“. Der Spagat zwischen Leistungssport und Vollzeitstudium war für ihn zu groß. Mit dem Fernstudium klappte es dann doch noch. Dass es auch anders geht, möchte er frisch gebackenen Abiturienten verdeutlichen und ihnen „die Augen öffnen“, wie er selbst sagt. In Amerika könne man beides miteinander kombinieren. „Man kann Sport auf hohem Niveau ausüben und das Studium auf hohem Niveau absolvieren“, betont der in Soest geborene Belgier. Aus den überdimensionalen schwarzen Boxen oberhalb der Haupttribüne schallen die einprägenden Worte „We are searchlights, we can see in the dark“. „Wir sind das Scheinwerferlicht, wir können im Dunkeln sehen“, heißt es in dem Lied der US-amerikanischen Sängerin Pink. Das Flutlicht des Stadions kann an diesem Abend auch im Dunkeln sehen; im wahrsten Sinn des Wortes. Typen vom Schlag eines Michael Lejan können dies ebenso gut. Lejan ist jemand mit Weitsicht. Jemand, der potentiellen Jungprofis die Augen öffnen und von der guten Möglichkeit als Stipendiat in den USA überzeugen will.

Vermittlung von Sportstudenten in die USA

Die neue Aufgabe erfülle ihn. Das sagt er mit Stolz – und man sieht ihm diesen Stolz an. „Wenn man den Spielern von den Möglichkeiten in den USA erzählt, sieht man immer große Augen. Das ist wirklich der Wahnsinn“, sagt Lejan. Der Erhalt eines US-Stipendiums sei eine großartige Chance und man könne in Deutschland anschließend immer noch auf einem hohen Niveau Fußball spielen. Auf einem hohen Niveau wie Michael Lejan bis zu seinem 34. Lebensjahr. Auf einem hohen Niveau wie Michal Lejan, der sein schwarzes Smartphone bei all der Kälte kaum noch bedienen kann. Die motorischen Fähigkeiten leiden, die Finger werden langsamer. Doch die WM-Auslosung stand soeben an. Von einer großen deutschen Sportzeitung ploppt eine Push-Mitteilung auf: Lejans Heimatland Belgien bekommt es 2018 in Russland mit Panama, Tunesien und England zu tun. Belgien ist international unterwegs, Lejan ist international unterwegs: Sohn belgischer Eltern, geboren in Soest, bis heute sesshaft in Köln. Jetzt folgt also der nächste globale Step mit der Vermittlung förderungswürdiger Stipendiaten in die USA.

Der Ex-Profi gerät ins Schwärmen, wenn er von den Rahmenbedingungen an den US-Colleges spricht. Und er zieht einen Vergleich mit der Bundesliga, in der er einst in zwei Spielen Luft schnuppern durfte: „Die Mannschaften fliegen zu den Spielen, verfügen über riesige Entmüdungsbecken, Krafträume. Das sind Sachen, die man so nicht mal in der zweiten Liga vorfindet.“ Von den Gegebenheiten habe er sich vor Ort selbst überzeugen können. Nun möchte er potentielle Jungprofis davon überzeugen – und die „schlummern“ unter anderem in der U19 des 1. FC Köln. Lejan beobachtet daher viel, führt ebenso viele Gespräche mit den Jungs. Heute ist der Regionalligameister von 2017 nicht der einzige Beobachter auf der Tribüne. Von rechts hört man ein „Michael, wie geht’s dir?“. Soeben hat Alexander Ende das Stadion am Geißbockheim betreten; heutiger Co-Trainer von Borussia Mönchengladbach II, ehemaliger Mitspieler Lejans beim FC und bei der Fortuna aus Köln. Man kennt sich, man weiß sich zu schätzen. Während des Smalltalks unter alten Freunden spucken die Boxen Mark Forsters „Es wird gut, sowieso“ aus.

Beobachtung potentieller Stipendiaten

„Es wird gut“, irgendwie passend. Das Motto, das der Belgier Lejan zu scheitern drohenden Abiturienten mit auf den Weg geben will. Das Motto, das er in gewisser Weise selbst verkörpert. Als Mark Forsters Hit langsam verstummt, pfeift der Schiedsrichter das A-Junioren- Derby an. Michael Lejan und Alexander Ende verfolgen das Geschehen mit Argusaugen – nebeneinander auf der Tribüne sitzend. Sie analysieren einzelne Spielszenen: Was war gut? Was war schlecht? Lejans Blick geht stets darüber hinaus. Wem kann er möglicherweise die Chance eines Stipendiums in den USA bieten? Auf die Frage, was er im Laufe seiner turbulenten Karriere anders gemacht hätte, kann der 1,81 m große Ur-Kölner lange nicht antworten. Er grübelt. Eine Sache wäre da aber doch noch: „Hätte ich früher von den Möglichkeiten in den USA gewusst, wäre ich dorthin gegangen.“ Er hätte eine kleine Version des American Dreams leben können, eine hervorragende Ausbildung genießen und den Leistungssport wohl dennoch viele Jahre lang auf einem hohen Niveau ausüben können. Heute ist er schlauer. Heute möchte er die gewonnene Erfahrung bestmöglich weitergeben.

Back to the roots: Michael Lejan vor dem Franz-Kremer-Stadion in Köln.

Beim Stand von 0:0 holt Lejan eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie, auf der der Name seines kürzlich gegründeten Startups in rot-weißen Lettern prangt. Rot und weiß, auch das ist irgendwie passend – so sind es doch die Vereinsfarben des 1. FC Köln. „2SV Sports Germany“ nennt sich seine Vermittlungsagentur. Michael Lejan selbst wird auf dem kleinen Kärtchen als „Managing Director“ deklariert. Als Managing Director, der eine große Mission hat. Für diese Mission wird er sich noch hunderte weitere Spiele in Westdeutschland ansehen, viel analysieren, viele Gespräche führen. Möglicherweise hat der nächste Philipp Lahm ein in den USA abgeschlossenes Studium vorzuweisen und damit beste Voraussetzungen für das Leben nach oder gar vor der Profikarriere geschaffen. Die Zukunft wird es zeigen.