• Der Verein RE/init hilft Jugendlichen durch unterschiedliche Programme in einen geregelten Alltag einzusteigen
  • Dem Traum vom Schulabschluss oder einer Ausbildung ein Stück näher zu kommen
  • Durch kunst- und kulturpädagogische Mittel lernen Jugendliche diszipliniert zu erscheinen und an sich zu glauben

„Müssen wir mitkommen? Können wir nicht hierbleiben, unten eine rauchen?“, fragt Julien* genervt. Der 19-jährige trägt eine schwarze Jeans, ein rotes T-Shirt und hat die Haare in sein Gesicht gekämmt. „Alle kommen mit!“ sagt Heike im strengen Ton. Julien* gilt als Problemfall, er ist bereits aus 60 Kinderheimen ausgeschieden. Er widersetzt sich stringent jeglichen Vorschriften.

Zusammen Einkaufen und Backen

Es ist 10 Uhr morgens in Gelsenkirchen, wie vor jedem Kochkurs geht die Gruppe „Talentnetwork“ gemeinsam einkaufen. Heute besteht die Gruppe aus sechs Jugendlichen im Alter zwischen 18-23 Jahren und zwei Kultur/Theaterpädagoginnen (Verena und Heike). Auf dem Tagesplan stehen Kuchen-Backen, Kunstkurs und ein Picknick im Park. Auf dem Fließband befindet sich nach dem Einkauf Fladenbrot, Mehl, frische Oliven, Käse, eine halbe Wassermelone, Zucker, Backpulver, Plastikteller und Löffel.

Das Projekt Talentnetwork

Beim Talentnetwork, ein Projekt des Vereins RE/init e.V. arbeiten Pädagogen, Job Coaches, Lehrerinnen und eine Psychologin. Hierhin kommen Jugendliche mit unterschiedlichen Hemmnissen: Sie haben den Schulabschluss nicht geschafft, möchten eine Ausbildung machen und vermittelt werden, sind arbeitssuchend oder brauchen Nachhilfe. Menschen mit Migrationshintergrund werden häufig ausgegrenzt, für sie gestaltet es sich schwieriger höhere Bindungsabschlüsse zu erlangen. Durch sozial- und kunstpädagogische Wege werden hier die Kompetenzen gefördert und individuelle Stärken herausgebildet. RE/init hilft den jungen Erwachsenen dabei sich in die Gesellschaft, das Leben und den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Der Traum von einem Schulabschluss

Karima* hat heute Geburtstag, deshalb backen die Teilnehmer gemeinsam einen Zitronenkuchen. Karima* ist 19 Jahre alt geworden, sie möchte entgegen der Meinung ihrer Familie ihren Schulabschluss nachholen. „Es ist schon besser, wenn man zu anderen sagen kann, dass man hat einen Abschluss hat.“, weiß Karima*. Nach dem Einkauf schließt Julien* alle Schränke und Heike verteilt die Aufgaben. Hygiene Vorschriften müssen eingehalten werden. Niels*, mit einem Tupac T-Shirt und blauer Adidas Jogginghose bekleidet, betritt den Raum. „Wenn ich dich das nächste Mal anrufe, dann gehst du dran, oder?“, fragt Verena. „Klar, das ist meine Anruf-Nummer.“ Niels* war die letzten drei Jahre obdachlos. Er muss in einen geregelten Tagesablauf zurückgeführt werden und träumt davon, eine Ausbildung als Goldschmied zu machen.

Gemeinsames Backen trotz Ramadan

Mehmed* sagt die Vorschriften laut auf, währenddessen tragen sich die anderen Jugendlichen in eine Anwesenheitsliste ein. Mehmed* hat Sprachprobleme, er strebt an, eine Ausbildung in der Mülltrennung zu machen. Julien* und seine Freundin Nina* weigern sich mit zu kochen und haben ein Gespräch mit der Psychologin Julia in einem anderen Raum. Fatma* rührt den Teig mit dem Mixer, es riecht nach frischer Zitrone und Eier/Mehl Mischung. Zurzeit ist Ramadan, also Fastenzeit. Fatma* und Mehmed* können den Kuchen daher nicht mitessen. Karima* macht wegen ihres Geburtstages heute einen Tag Auszeit, den sie nach dem Zuckerfest hinten dranhängt. Zum Glück ist es bereits die dritte Woche von insgesamt vier. „Man gewöhnt sich daran.“ sagt Fatma*. Im Küchenraum duftet es mittlerweile nach Kuchen und bei einem Kaffee wird der gestrige Tag besprochen.

Ein Theaterstück aus den Ruhrfestspielen 2018

Gestern war die Gruppe Talentnetwork und Teile der Gruppe „Come.Back“ in dem Theater Stück „Der kaukasische Kreidekreis“ von Berthold Brecht, im Rahmen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen. Heike erklärt das Theaterstück aus der Sicht der Schauspieler und des Regisseurs. Sie sagt, Brechts Theater ist ein episches Theater, dass „die vierte Wand“ öffnet und das Publikum mit einbeziehe.

Sanktionen durch Antriebslosigkeit

Come.Back ist eine weitere Aktion für Jugendliche, die untergetaucht sind und Termine vom Jobcenter nicht mehr wahrnehmen. Sie kommen dienstags und donnerstags um sich wieder an einen strukturierten Alltag zu gewöhnen. Die Gründe für das Untertauchen können verschieden sein: Todesfall in der Familie, Drogenkonsum, Straftaten oder Antriebslosigkeit. Die Teilnehmer können vom Jobcenter bis zu 100 prozentige Sanktionen erhalten, wenn sie nicht zu den Terminen erscheinen. Come.Back schützt die jungen Erwachsenen davor.

Kunst und Konversationen

Nach einer Mittagspause geht es in die Kunstwerkstatt. „Hier geht es ums kreative und künstlerische Denken. Etwas zu schaffen, ganz ohne Druck.“ Durch das künstlerische Arbeiten lernen die Jugendlichen sich auszudrücken. Sie reden in der Kunstwerkstatt miteinander und verarbeiten ihre Gefühle. Verena erzählt, man erlebe einiges mit: Zwangsehen, Flucht, Menschen, die ausbrechen wollen und untertauchen müssen.

Eine Ersatzfamilie mit Ersatzmutter

„Ich liebe meine Arbeit. Wir sind auch in gewisser Hinsicht Muttersatz. Es ist wichtig, dass sie jemanden haben, mit dem sie reden können.“ Man könnte meinen, es gäbe hier ständig Auseinandersetzungen, Gewalt, Beleidigungen oder andere Ausschreitungen. Die Jugendlichen sitzen jedoch friedlich zusammen und unterhalten sich. Sie trauen sich meist nicht, aus sich heraus zu kommen. Die Programme Talentnetwork und Come.Back helfen Ihnen dabei, sich zu finden und auf den richtigen Weg zu kommen.

*Die Namen der Teilnehmer wurden geändert.