• Jonas Selter (24) ist Student, Journalist und ein politischer Mensch
  • Seit der Bundestagswahl 2017 engagiert er sich bei der Linkspartei in Gelsenkirchen
  • Anfang Dezember 2018 gründete Jonas die Ortsgruppe Gelsenkirchen der Sammlungsbewegung Aufstehen

 

Aufstehen richte sich an diejenigen, die von der bisherigen Politik nicht profitiert haben und sich abgehängt fühlen. Wenn man schaut, wer in Deutschland auf den Straßen demonstriert, dann stehen diese Leute oftmals nicht dort. Woran liegt das?

Menschen aus der Mittelschicht geht es noch zu gut und nicht schlecht genug. Die Folgen der Politik der letzten Jahre betrifft diese Leute noch nicht genug, sodass sie sich bewegen, auf die Straße gehen und ihren Unmut kundtun würden. Menschen, die ins Prekariat gerutscht sind und aus eigener Kraft dort nicht mehr herauskommen, fehlt der Mut und die Entschlossenheit. Diese Menschen sind abgestumpft, weil sie Parteien Vertrauen geschenkt haben und enttäuscht worden sind. Hier in Gelsenkirchen ist es vor allem die SPD, die alte Arbeiterpartei, die ganz im Interesse der Wirtschaft handelt und keine soziale Politik für eine strukturschwache Stadt betreibt.

Aufstehen ist die Hoffnung, die Menschen zu erreichen, indem man ein anderes Gesicht von Politik zeigt. In Aufstehen sammeln sich Leute aus SPD, Grünen und Linken, die ein neues Konzept anbieten und in die Stadträte, Landtage und in den Bundestag einbringen wollen.

Wir sind keine Partei und haben daher kein Interesse mit der Wirtschaft zu kooperieren und Gesetze zusammen zu schreiben. Wir wollen die Leute sich sammelnd auf die Straße bringen. Das Interesse und Vertrauen in die Demokratie zurückholen. Ich weiß, das ist ein langer Weg.

 

Jonas fordert eine „kreative  Sozialpolitik“ für Gelsenkirchen

 

Laut der Webseite ist Aufstehen eine Bewegung, die eine soziale und demokratische Erneuerung für Deutschland möchte. Wie würde so eine Erneuerung in Gelsenkirchen aussehen?

Gelsenkirchen wird häufig stigmatisiert. In sämtlichen Platzierungen landet die Stadt ganz unten. Zusätzlich zur Strukturschwäche, die durch den Wegfall der Montan-Industrie entstanden ist, hat die Stadtregierung den Anschluss verpasst. Auf Bundes- und Landesebene wurde versäumt, strukturschwache Regionen wie das Ruhrgebiet zu fördern, so wie es beim Braunkohleausstieg mit der Kohlekommission passieren soll. Daran sind gewisse Parteien Schuld und Leute verantwortlich, die heute nicht mehr politisch aktiv sind. Das muss sich ändern. Es muss wieder der Blick da sein und eine kreative Sozialpolitik gemacht werden. Ideen von jungen engagierten Leuten müssen gefördert und eine Perspektive geschaffen werden. Ein großes Problem ist der Brain-Drain (Abwanderung qualifizierter Fachkräfte, Anm. d. Red.), der aktuell aus Gelsenkirchen heraus stattfindet.

Viele Leute, mit denen ich in Gelsenkirchen Abitur gemacht habe, sind weggegangen. Ich hatte letztens ein Klassentreffen, wo nur die Hälfte anwesend war. Die anderen sind in Münster, Bonn, Hamburg, Berlin oder München und versuchen dort ihre Lebensperspektive aufzubauen, sich weiterzubilden und eine Karriere einzuschlagen. Eine Zukunft in Gelsenkirchen können sich diese Leute nicht vorstellen.

 

Wie kam es zur Gründung der Ortsgruppe Gelsenkirchen?

Als Aufstehen am 4. August 2018 mit der Webseite an den Start ging, hatte ich persönlich ein großes Interesse an einer linken Sammlungsbewegung. Ich dachte, jetzt bewegt sich etwas. Der offizielle Start von Aufstehen fand dann am 4. September in der Bundespressekonferenz statt. In Gesprächen mit Parteikollegen aus meiner Jugendgruppe stellten wir fest, dass alle von der Idee angefixt sind. Wir beschäftigten uns mit Aufstehen und kamen zum Entschluss, zunächst einen Info-Abend zu veranstalten. Unsere Partei hatte uns dazu geraten, um vorfühlen zu können, wie die Stimmung in Gelsenkirchen für eine Idee wie Aufstehen ist. Unsere Parteikollegen mussten uns ehrlich gesagt etwas bremsen. grinst

 

Die Rolle von Aufstehen in der AfD-Hochburg Gelsenkirchen

 

Aufstehen hat sich auch als Gegenbewegung zur Alternative für Deutschland gegründet. Bei der Bundestagswahl 2017 haben 17 Prozent der Gelsenkirchener die AfD gewählt. Wie kann Aufstehen ein Gegengewicht sein?

Wir wollen eine Alternative anbieten, die auch eine echte Alternative darstellt. Wir wollen uns nicht soziale Themen auf die Flagge schreiben und gleichzeitig die Migration oder Angela Merkel als Ursache ausmachen. Das sind Konzepte, hinter denen nichts steckt. Wir wollen zeigen, dass es Menschen gibt, die über soziale Kompetenzen verfügen. Wir wollen mehr bieten, als die Propaganda von der rechten Seite. Die AfD baut rechte Luftschlösser auf, was schon einmal in der deutschen Geschichte gewirkt hat. Ich finde es erschreckend, dass die Raffinesse rechter Politiker, die wie Rattenfänger agieren, zu so einem Stimmengewinn führen kann.

Ich glaube, die Leute haben keinen Bock mehr auf eine Politik, die von Konzerninteressen und Lobbyismus bestimmt wird. Die Interessen, die von unten kommen, vom Prekariat, der unteren Mittelschicht unserer Gesellschaft, werden ignoriert. Die haben nicht diese große Lobby in den Rathäusern oder in Berlin. Die Parteien regieren seit langer Zeit an gewissen Interessen vorbei, was sich dann in solchen Wahlergebnissen widerspiegelt.

Aufstehen will die guten Ideen parteiübergreifend sammeln und durch Aktionen zeigen, dass Parteien wie SPD, Linke und Grüne zusammenarbeiten können, was viel mehr dem Grundgedanken von Demokratie und fortschrittlicher Zusammenarbeit entspricht. Gemeinsam muss man sich als Bündnis gegen die AfD stellen.

 

Was sind konkrete Probleme in Gelsenkirchen, die ihr angehen wollt?

Die Mieten in Gelsenkirchen sind günstig und Gentrifizierung ist vielleicht ein Fremdwort im Kreuzworträtsel. Das ist traurig, aber ich finde das gleichzeitig wunderbar. Ich lebe gerne in einer Stadt, die nicht so ein großes Armuts-Reichtums-Gefälle hat. Das liegt daran, dass wir nicht viele Reiche und keine große Mittelschicht in Gelsenkirchen haben.

Wir müssen Bildungsperspektiven und Perspektiven darüber hinaus schaffen. Die Westfälische Fachhochschule schön und gut, aber wir brauchen einen Anschluss daran. Arbeitgeber, die sozialverträglich oder in einem sozialen Sinne handeln. Das Gemeinwohl-Ökonomiekonzept ist eine tolle Sache. Wir müssen diese Gräben überwinden, dass es in der Wirtschaft nur um Konkurrenz geht, sondern auch darum, dass jeder davon profitiert. Gerade eine Stadt wie Gelsenkirchen wäre eine tolle Leinwand für so ein Konzept.

Mit der Sammlungsbewegung Aufstehen wollen wir Druck von außen auf die regierenden Parteien aufbauen, um so eine Kommune wie Gelsenkirchen voran zu bringen.

 

Mehr Informationen zu Aufstehen sind hier zu bekommen.